Jürgen Klinsmann: Angriff ist die beste Verteidigung
Egal, ob als Spieler oder Trainer kaum eine Figur des deutschen Fußballs spaltet die Lager so wie Jürgen Klinsmann. Die einen sehen in ihm den egoistischen Schwaben, dem jedes Mittel für seinen Erfolg recht ist, die anderen den strahlenden Sonnyboy, der leidenschaftlich für seine Ziele kämpft und Verantwortung übernimmt. Unbestritten bleibt: Klinsmann hat immer seinen Weg verfolgt und sich dabei von nichts und niemandem beeinflussen lassen.
Als Bundesligakicker und Nationalspieler war Jürgen Klinsmann über Jahre hinweg megaerfolgreich. Europameister, Weltmeister, Torschützenkönig der Bundesliga, UEFA-Cup-Gewinner und bei großen internationalen Clubs unter Vertrag. Für seinen Job als Nationaltrainer der DFB-Auswahl hat sich der Schwabe ebenfalls hohe Ziele gesteckt. Am liebsten möchte er mit seinen 23 Jungs natürlich den Titel im eigenen Land gewinnen.Professionell
Seinen nationalen und internationalen Durchbruch feiert der Schwabe in der Saison 1987/88: Er gab sein Debüt in der Nationalmannschaft, wird Torschützenkönig und zum Fußballer des Jahres gekürt. Nach seinem Vertragsende bei den Kickers ein Jahr später folgte Klinsmann dem verlockenden Ruf von Inter Mailand nach Italien. Dabei wird deutlich wie diszipliniert und professionell er seine Karriere vorantreibt: Schon an seinem ersten Trainingstag bei Inter kann er sich perfekt mit dem Trainer au italienisch unterhalten, weil er zuvor Sprachunterricht genommen hat. Weitere Auslandstationen in der Karriere des Jürgen Klinsmann sind Monaco, Genua und England.
Als "Diver" zum Publikumsliebling
Bei den Tottenham Hotspurs gewinnt Klinsmann die Herzen der Fans auf der Insel mit Humor, den ihm vorher kein Mensch zugetraut hätte. Zunächst wird er von den Zuschauern abfällig als Submarine Commander (U-Boot-Kommandant) und Diver (Taucher) verspottet, weil er sich bei Fouls in theatralischer Art auf den Boden fallen lässt. Doch er nimmt dem Publikum den Wind aus den Segeln indem er kurz darauf den Diver als neue Art des Torjubels erfindet und sich nach jedem Treffer bäuchlings über den Rasen gleiten lässt. Weil er sich selbst so schön auf die Schippe genommen hat, lieben ihn die Engländer von nun an, erfinden einen Klinsmann-Fangesang und wählen ihn 1995 zum Fußballer des Jahres.
Temperamentvoll
Trotz seiner Beliebtheit auf der Insel wechselt Klinsmann schon nach einer Saison nach München. Das wird ihm von manchen Fans noch immer übel genommen. Schließlich hatte Flipper, wie er in Bayern wegen seiner zuweilen unkontrollierten Ballannahme genannt wird, einmal öffentlich erklärt, nie im Leben bei den Bayern zu spielen. 1997 sorgt der temperamentvolle Stürmer dann für eine denkwürdige Szene auf dem Rasen. Weil er von Trappatoni kurz vor Schluss gegen einen Amateur ausgewechselt wird, beschimpft er den italienischen Trainer nicht nur wüst in dessen Landessprache, sondern tritt aus Wut gegen eine Werbetonne.
Souverän als Kapitän
Mit Humor verabschiedete sich Klinsmann ein Jahr später aus dem Profifußball, indem er genau diese Geste parodierte. Es war sein letztes Spiel in der englischen Premier League. Trotz oder gerade wegen seiner offen gezeigten Emotionen war Klinsmann seit jeher bei vielen Fans beliebt. Selbst wenn er das Publikum mehr als einmal mit nicht nachvollziehbaren Handlungen vor den Kopf gestoßen hat. Doch mit enormer Einsatzfreude und einer souveränen Leistung als Mannschaftskapitän bei der EM 1996 erarbeitete er sich selbst bei seinen Kritikern Respekt.
Rückzug nach Amerika
Nach Ende seiner Spielerkarriere zog sich Jürgen Klinsmann, der heute mit seiner Frau Debbie und den Kindern Jonathan und Laila in den USA lebt, zunächst aus dem öffentlichen Fußballleben zurück. In Amerika organisierte er als Repräsentant einer Sportfirma die Fußballförderung an den US-Highschools und machte im Schnellverfahren seinen Trainerschein. Außerdem unterstützte er die Stiftung Jugendfußball und gründete das Kinderhilfswerk Agapedia.
Neue Methoden
Als nach dem Rücktritt Rudi Völlers im Sommer 2004 ein neuer Bundestrainer gesucht wurde, ließ sich Klinsmann nicht lange bitten. Und das, obwohl er nie professionell eine Mannschaft betreut hatte. Mit seinem Amtsantritt leitete er zunächst eine kleine Fußball-Revolution ein. Er verjüngte das Team und tauscht wichtige Figuren im Umfeld von Mannschaft und Verband aus. Dabei legte er sich auch mehrfach mit dem DC Bayern München an, z.B. als er Torwarttrainer Sepp Maier durch Andreas Köpcke ersetzte und zuletzt statt Oliver Kahn Jens Lehmann als Nummer eins im Tor nominierte.
Motiviert
Auch neue Trainingsmethoden und die Anstellung eines Fitnesscoaches aus den Staaten wurden vielfach belächelt. Etliche Experten kritisieren Klinsmanns Konzept vom proaktiven Fußball, der für Angriff und schnelles Spiel steht. Doch der neue Bundestrainer lässt sich wie schon als Spieler auf seinem Weg nicht beirren. Gemeinsam mit Co-Trainer Löw und Manager Oliver Bierhoff möchte er das deutsche Team bei der WM möglichst weit bringen. Am besten ins Finale!
29.6.2006 Text: Nicola Schell, wasistwas / Foto: DFB
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